QUEER Vielfalt ist unsere Natur
OK Linz
„Queer“ – ein Schirmbegriff für alle Personen deren sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität nicht in ein binäres, heterosexuelles, cisgender-Modell einordenbar sind.
Queer ist eine menschliche Kategorie – eine solche auf Tiere anzuwenden ist heikel. Trotzdem lohnt es sich, diesen Blick auf die Natur zu wagen. Wenn der Begriff für Geschlechtervielfalt steht, dann darf man die Natur mit Fug und Recht als queer bezeichnen. In der Tierwelt ist Geschlecht eine relative Angelegenheit: Es gibt Tiere, die im Laufe ihres Lebens das Geschlecht wechseln oder Lebewesen, die mehrere – bis zu tausend – Geschlechter in sich tragen. Es gibt Weibchen, die sich ohne Männchen vermehren, und Tiere, die gleichgeschlechtliche Beziehungen pflegen. Viele Verhaltens-weisen ähneln dem, was wir Menschen als queer bezeichnen. Betrachtet man den Menschen als Teil der Natur, wird umgekehrt schnell klar, dass das was wir als heteronormatives Gesellschaftsbild kennen – ein binäres Geschlechtersystem, das ausschließlich zwei Geschlechter akzeptiert, wobei der Mann in einem dominanten Verhältnis zur Frau steht – die große Ausnahme ist. 97 Prozent der Tiere zählen zu den Wirbellosen und dort ist die Geschlechtervielfalt besonders groß. Viele Organismen haben mehr als zwei Geschlechter, sie vermehren sich parthenogenetisch, also ohne Männchen, sind Zwitter, oder wechseln ihr Geschlecht im Laufe ihres Lebens. Homosexuelles Verhalten ist von mehr als 1500 Arten bekannt, darunter viele Säugetiere. Der Schluss ist: Vielfalt ist natürlich! Das gilt sowohl für den Menschen als auch für die Tierwelt.
Die vom Naturhistorischen Museum Bern übernommene und erweiterte Ausstellung spannt den Bogen zwischen Natur und Kultur, zwischen biologischen Erkenntnissen und aktuellen gesellschaftlichen Debatten. 2021 wurde sie von der Akademie für Naturwissenschaften in der Schweiz mit dem Preis für die beste Naturausstellung ausgezeichnet. Für Linz wurde das Konzept um einen kulturwissenschaftlichen Teil erweitert, der sich auf Oberösterreich konzentriert, aber auch wichtige queere Einrichtungen wie das QWIEN Zentrum für queere Geschichte, die HOSI Linz oder die Türkis Rosa Lila Villa in Wien miteinbezieht.
Auch wenn Queerness und LGBTQIA+-Themen aktuell in der Mainstreamgesellschaft mehr Platz bekommen, sind nur sehr wenige Ereignisse Teil einer immer noch heteronormativ geprägten Geschichtsschreibung. Im ersten Stock erzählt die Ausstellung queere Geschichte(n) und beschäftigt sich mit queerer (Sub)kultur.
Queere Geschichte wird oft von den Communitys selbst bewahrt und tradiert. In der Ausstellung finden sich Objekte aus den Archiven der Emanzipationsbewegung aus dem QWIEN und aus der eigenen Sammlung. Sie zeigen Erfolgsgeschichten, aber auch historische Rückschläge, und sie erzählen über die Diversität menschlicher Identitäten.
Interviews mit queeren Personen aus Linz und Oberösterreich zeigen die lokale bunte Vielfalt aber auch die Probleme. Es ist viel passiert, seit die ersten Aktivist*innen um Anerkennung und Gleichbehandlung gekämpft haben. In etlichen westeuropäischen Ländern haben queere Menschen an Rechten und Akzeptanz gewonnen und können ihr Leben offen leben. Dennoch haben sie weiterhin mit gesellschaftlichen und politischen Widerständen zu kämpfen. Diffamierung und Ausgrenzung sind immer noch ein Problem und selbst körperliche Gewalt zu erleben, ist auch hierzulande noch immer Realität. International gesehen ist die Lage noch erschreckender. In 70 Ländern weltweit ist zum Beispiel Homosexualität unter Strafe gestellt.
Vielfalt findet sich auch in der queeren (Sub)Kultur. RuPaul’s Drag Race und die Netflix-Serie Pose verhalfen queerer Subkultur zu internationaler Popularität. Popstars wie Madonna, FKA Twigs, Rihanna, Ariana Grande und Beyoncé integrieren Voguing-Elemente in ihre Bühnenshows. Queere (Pop-)Kultur ist aber nichts Neues: In allen Sparten von Kunst und Kultur sind queere Themen und Künstler*innen vertreten. Eine queere Film-, Kunst- und Musikgeschichte lässt sich genauso schreiben wie eine über Theater, Performance oder Tanz.
Das Outfit von Tom Neuwirth aka Conchita Wurst beim Songcontest 2015 steht im Zentrum eines Raumes, der sich mit „Drag“ beschäftigt: Ein schwieriger Begriff, weil er in jedem Land und zu jeder Zeit etwas anderes bedeutet. 1869 fand in Harlem der erste Drag-Ball statt, als geheimer Maskenball für schwule Männer. In den 1920er-Jahren wurden die als „Schwulenbälle“ bezeichneten Feste so berühmt, dass auch heterosexuelle Künstler*innen und Schriftsteller*innen sie besuchten. In Europa etablierte sich zur selben Zeit eine lebendige Szene von „Damen- und Herren-imitator*innen“ und Travestie-Shows als Attraktion in Kabaretts und Revuen.
Unterbrochen durch den 2. Weltkrieg und die verschärfte Verfolgung von Homosexuellen entwickelte sich in den 1960er und 70er-Jahren eine immer buntere Szene von Queens und Kings, die auch in den Protestbewegungen in den USA eine tragende Rolle spielten. Im Mainstream angekommen ist Drag vor allem durch RuPauls Castingshow. Es geht aber auch ganz anders: Die Ausstellung zeigt eine neue Generation von Drag-Artists wie „Hungry“ aus Berlin, die fantasievolle nonbinäre Looks kreiert und mit Björk zusammenarbeitet oder sich als Visual Artists, Models und Designer*innen im High-Fashion-Bereich etablieren wie Chloe Waldorf (Berlin) oder Metamorkid (Wien).
Die Ausstellung ist eine Entdeckungsreise durch die bunte Vielfalt von biologischem und sozialem Geschlecht und Sexualität, die in Natur und Gesellschaft zu finden sind. Eine Expedition, bei der Besuchende auch ihre eigene Identität erforschen können.
QUEER
Vielfalt ist unsere Natur
23. 6. – 8. 10. 2023
Kurator:innen der Ausstellung: Michaela Seiser
Kulturvermittlung Kombi-Führung EVA & ADELE + QUEER
Sa, 12. 8. 2023, Fr 22. 9. 2023, jeweils 16:30 Uhr
Workshop „RuPaul Mini-Drag-Challenge“
Mi, 20. 9. 2023, Mi 4. 10. 2023, jeweils 8:00–19:30
Bring Glamour in dein Leben! In diesem Workshop geben drei Linzer „Queens“ Einblicke in die Welt der Dragqueens und -kings und verraten Tipps und Tricks fürs Schminken und Pimpen. Der Höhepunkt sind heitere „Mini-Challenges“ im geschützten Setting, – bei denen sich ausprobieren kann wer mag – ganz wie bei RuPauls legendärem „Drag Race“.
OK Linz
OK Platz 1, 4020 Linz
+43 732/7720-52502
www.ooekultur.at
Öffnungszeiten: Di – So, Fei 10:00 – 18:00 Uhr, Mo geschlossen
Parallel zeigt das OK die Ausstellung EVA & ADELE The Present of the Future.
Fotos: © Maritsch