Roller Derby
Revolution auf Rollschuhen
Am 24. und 25. Juni trafen in der Wiener Stadthalle fünf Roller Derby Teams beim bislang größten queeren Sportevent Wiens aufeinander: den Vienna Calling Roller Derby Days. Dabei kämpften Oslo, Rotterdam, Prag und Wien auf Rollschuhen nicht nur um den sportlichen Sieg, sondern auch um gesellschaftspolitische Veränderung. Das Publikum kann sich nicht nur über spannende Spiele, sondern auch über Drag Shows, Stand-Up Comedy, ein Konzert des Schmusechors und nicht zuletzt über die Tanzeinlage des männlichen Cheerleading-Teams freuen.
Roller Derby – mehr als nur ein Rollschuhsport
Anfangs als Sport „von Frauen – für Frauen“ gedacht, hat sich Roller Derby zum Vorzeigebeispiel progressiver Genderpolitiken im Sport entwickelt und wird vorwiegend von FINTA Personen betrieben.
Die Sportart hat ihre Ursprünge in den USA der 30er Jahre und wird seit 2006 auch in Europa gespielt. Auch wenn das „Blocken“ und „Hitten“ auf den ersten Blick brutal wirkt, sind der Sport und die Community geprägt von Solidarität und Ausdruck einer Lebenseinstellung frei von (Gender)Stereotypen. Roller Derby lebt und zeigt im Kleinen vor, wie gesellschaftlicher Wandel hinsichtlich geschlechterinklusiver Sportkultur, gendergerechter Sprache, oder nicht-hierarchischer Selbstorganisation aussehen könnte.
„Roller Derby looks like people knocking each other down,
but actually it is people lifting each other up!“
So funktioniert`s: Blocken und Jammen
Roller Derby ist ein actionreicher Vollkontaktsport auf Rollschuhen, bei dem zwei Teams gegeneinander auf einer ovalen Bahn fahren und versuchen zu punkten, indem das gegnerische Team überholt wird.
Pro Team befinden sich fünf Spieler*innen auf der Bahn: vier Blocker*innen und eine Jammer*in (erkennbar durch den Stern am Helm). Beim Startpfiff versuchen die beiden Jammer*innen schnell an den Blocker*innen vorbeizukommen und diese zu umrunden, um für jede umrundete Gegner*in einen Punkt zu sammeln. Die Blocker*innen versuchen mit vollem Körpereinsatz, die eigene Jammer*in zu unterstützen und die gegnerische am Punktemachen zu hindern. Legaler Körperkontakt ist limitiert auf die Hüften, Schultern und den Vorderkörper. Illegale Berührungen, wie Festhalten oder Blocken in den Rücken, sind gefährlich und führen daher zu Strafzeiten.
Wien: Starke Sportler*innen und männliche Cheerleader
Wien beheimatet seit 2011 Österreichs „ältesten“ Roller Derby Verein ‚Vienna Roller Derby‘ (VRD).
Aus einer damals kleinen Gruppe engagierter, aber noch unerfahrener Skater*innen wurde ein lebendiger Verein mit über 80 Mitgliedern (Skater*innen, Schiedsrichter*innen und Freiwilligen) und zwei international antretenden Teams. Zu den regelmäßig stattfindenden Heimspielen gegen Gegner*innen aus ganz Europa kann VRD mittlerweile rund 300 Besucher*innen begrüßen, die sich dabei auch über die Tanzeinlagen des männlichen Cheerleading Teams „Fearleaders“ freuen. Diese stellen mit ihren selbstironischen und überzeichnenden Performances Rollenklischees auf den Kopf und entblößen toxische Männlichkeiten mit einem Augenzwinkern.
Do It Yourself: Soli-Fund, Pronomen-Sticker und Kinderbetreuung
Vienna Roller Derby kämpft nicht nur um den sportlichen Sieg, sondern auch um gesellschaftspolitische Veränderung und ist bestrebt ein sicherer Ort für Menschen zu sein, die sich oft unsicher fühlen müssen, insbesondere im Sport.
Als Skater*innen sind alle ab 18 Jahren willkommen, die sich als Frauen verstehen oder sich im binären Geschlechtermodell nicht festlegen oder einordnen wollen. Für Anfänger*innen gibt es keine Anforderungen bezüglich Vorkenntnisse, Körpermaße oder Fitness.
Seit letztem Jahr ist der Verein Partner des Projekts „Sport for all Genders and Sexualities!“ von fairplay, das sich für eine geschlechterinklusive Sportkultur einsetzt und wird als Beispiel für eine „good practice“ im Bericht 2022 genannt.
Wie für die Sportart üblich, ist auch VRD durch und durch selbstorganisiert und versucht ohne Hierarchien zu funktionieren. Mitglieder werden aufgefordert in ein bis zwei der zwölf Komitees mitzuarbeiten (z.B. Training, Finanzen, Presse oder Logistik), Entscheidungen werden bei den monatlichen Generalversammlungen getroffen, an denen alle teilnehmen und mitbestimmen können.
Während der meisten Trainings und Events organisiert und finanziert der Verein eine Kinderbetreuung vor Ort, um es Skater*innen zu erleichtern, trotz Betreuungspflichten Roller Derby zu spielen. Auch bei finanziellen Hürden, wie dem monatlichem Vereinsbeitrag, dem Kauf von Skates und Ausrüstung, oder der Reise zu Auswärtsspielen, steht Mitgliedern Unterstützung aus dem Soli-Fund zur Verfügung.
Bei Vorstellungsrunden werden neben den Namen stets auch die Pronomen geteilt. Diese findet man außerdem auf der Website, in den Broschüren und nicht zuletzt auf Stickern am Helm der Skater*innen.
Trotz aller Bemühungen wissen die Mitglieder von Vienna Roller Derby: Es gibt noch viel zu tun! Daher organisiert der Verein regelmäßig Workshops, um sich zu Themen wie Rassismus und Diskriminierung weiterzubilden und die eigenen Strukturen und Verhaltensweisen zu reflektieren und zu überarbeiten.
Lust auf mehr?
Wer nun Lust bekommen hat, all das mit eigenen Augen zu sehen, braucht zum Glück nicht lange auf die nächste Gelegenheit zu warten: Als amtierende Österreichische Meister*innen richtet Vienna Roller Derby im Herbst die jährlichen Österreichischen Meister*innenschaften in Wien aus, wo die Teams aus Innsbruck, Linz, Graz, Salzburg und Wien um den Titel kämpfen werden. Im Juli 2024 ist Roller Derby außerdem bei den EuroGames vertreten, die erstmals in Wien stattfinden.
Fotos: Nadine Poncioni