Safe durch die Urlaubszeit
Ein Sommertalk mit Dominique Schibler von der Aids Hilfe Wien
Dominique, du bist seit 2007 bei der Aids Hilfe Wien für die queere Prävention zuständig. Wie oder warum bist du zur Aids Hilfe Wien gekommen?
Ich kam 2005 durch ein Praktikum im Rahmen meines Sozialpädagogikstudiums zur damaligen „Prävention für schwule und bisexuelle Männer“ zur Aids Hilfe Wien. Mein Praktikum bestand überwiegend aus der Vor-Ort-Arbeit (also Präventionsarbeit bei „Szenetouren“ in den Lokalen am Wiener Naschmarkt, auf der Donauinsel, im damals noch sehr gut besuchten Rathauspark und teilweise auch noch im Schweizergarten beim ursprünglichen Südbahnhof) und der Onlineberatung auf der in den frühen 2000er Jahren recht populären Seite www.gayboy.at. Im Jänner 2007 bewarb ich mich um Stelle als „Präventionist für schwule und bisexuelle Männer“ und seit Februar 2007 arbeite ich nun für die Aids Hilfe Wien und für die queere Community.
Seit 2007 ist viel Zeit vergangen. Kannst du uns über die medizinische Weiterentwicklung im Bereich der HIV-Prävention etwas erzählen.
Ja gerne. Es ist tatsächlich sehr erfreulich, dass sich im Bereich der HIV-Prävention und -Therapie enorm viel getan hat. Bei der Verhinderung von HIV-Übertragungen ist natürlich die PrEP hervorzuheben, die es seit einigen Jahren schon für € 45,90 mit einem Rezept (nach bestandenem medizinischen Check) vom Arzt/von der Ärztin niederschwellig in ausgewählten Apotheken zum Abholen gibt. Die PrEP ist ein Meilenstein in der Verhinderung von HIV-Neuinfektionen, besonders in sehr vulnerablen Gruppen wie MSM und Trans*Personen sowie bei Sexworker*innen.
Auch im Bereich der HIV-Therapie hat sich viel getan. So sind mittlerweile 1x täglich einzunehmende Therapien Standard. Ein weiterer Meilenstein ist die HIV-Therapie als Injektion, die man nur mehr alle zwei Monate in Anspruch nehmen muss und die vollständige Tablettentherapie abdeckt. Die Injektion hat den Vorteil, dass die tägliche Einnahme wegfällt, so dass man z.B. auf Reisen keine Tabletten mitnehmen und keine Einnahmezeiten (z.T. mit Mahlzeiten) berücksichtigen muss. Nicht vergessen sollte man aber, dass eine HIV-Infektion noch immer unheilbar ist, sie ist noch immer in vielen Lebensbereichen stigmatisiert und auch das biologische Alter der Organe (Nieren, Herz, Darm…) und Knochen therapierter HIV-positiver Menschen ist um einiges höher und somit anfälliger als bei HIV-negativen Personen.
Warum braucht es heutzutage queere Prävention?
Im Rahmen der queeren Präventionsarbeit geht es um mehr als die Wissensvermittlung zu HIV und STIs (sexual transmitted infections). Es geht auch um umfassende Aufklärung zur PrEP und PEP, über „mental health“, das Leben und Altwerden mit HIV sowie generell die Unterstützung zur sexuellen Gesunderhaltung. Diese Themen sind für queere Menschen wichtiger denn je.
Dennoch zeigen Statistiken, dass bezüglich HIV gerade MSM (Männer, die Sex mit Männern haben) und Trans*Personen noch immer sehr vulnerabel sind. MSM haben zwar ein sehr hohes Wissen bezüglich Schutz vor HIV, jedoch scheitert es häufig an der Umsetzung des Wissens in die Praxis. Für beide Personengruppen ist es daher essentiell, einerseits gut verständlich und häufig über Themen wie PrEP als Eigenschutz vor einer HIV-Infektion und diverse Impfungen gegen STI zu informieren, und andererseits regelmäßig Testempfehlungen für die Big 5 (HIV, Syphilis, Tripper, Chlamydien und Hepatitis) zu kommunizieren.
Auch stellen wir immer wieder fest, dass bei vielen LGQBTIA+ Personen das Körper- und Selbstwertgefühl nicht sehr ausgeprägt ist, was dazu führt, dass Risiken häufiger eingegangen werden. Dieser Umstand rührt meistens aus schwierigen Biographien, Anfeindungen und Gewalterfahrungen. Und hier kommt dann – auch mit Hilfe proaktiver Vernetzungspartner*innen – ein ganzheitlicher Arbeitsansatz zum Tragen, der sich nicht nur um Gesunderhaltung, sondern auch um mentale Unterstützung dreht.
Wir sind mitten im Sommer, die Lust auf Flirts, Neuem und natürlich auch Liebe und Sex steigt. Welche Tipps hättest du, um safe durch den Sommer zu kommen?
Grundsätzlich gilt, dass man in der Reisetasche immer ausreichend Kondome und Gleitmittelsachets mithaben sollte. Dass Kondome vor HIV und STI sehr gut schützen, ist in der Community ja häufig schon sehr gut bekannt. Häufig scheitert es aber an der konsequenten Umsetzung, immer und überall ein Kondom zu verwenden. Sex ist (zumeist) nichts Rationales: Verliebtheit, spontanes „scharf sein“ auf jemanden oder sich nicht trauen das Kondomeinzufordern, sind die häufigsten Gründe, warum in der queeren Community unsafer Sex stattfindet. Und unsafer Sex kann das Risiko bergen, sich nicht „nur“ mit einer (therapierbaren) STI, sondern auch mit HIV (lebenslang) anzustecken. Deshalb ist es so wichtig, dass die queere Community über einige Dinge Bescheid weiß:
1) Wir empfehlen Menschen, die Probleme beim Einfordern bzw. der durchgehenden Verwendung von Kondomen haben, mit ihrem Arzt/mit ihrer Ärztin über die PrEP zu sprechen. Die PrEP spielt eine wichtige Rolle in der Verhinderung von HIV-Neuinfektionen für unterschiedlichste, vulnerable Personengruppen. Dazu zählen Menschen, die immer wieder oder ausschließlich (lieber) kondomlosen Sex haben, Chems-User*innen, die Kontrollverluste erleben, Menschen mit häufig wechselnden Sexualpartner*innen. Die Entscheidung, ob die PrEP für jemanden in Frage kommt, sollte man individuell mit dem Arzt/der Ärztin besprechen. Bei konsequenter Einnahme hat die PrEP die gleiche Schutzwirkung vor HIV wie ein Kondom.
2) Die PEP sind quasi „die Pillen danach“, die nach einem sexuellen Risikokontakt innerhalb von 48h und dann in der Folge einen Monat lang unter ärztlicher Kontrolle eingenommen werden müssen. Die PEP kann, falls sie zeitgerecht, konsequent und durchgehend eingenommen wird, eine HIV-Infektion im Nachhinein verhindern.
3) Für HIV-positive Menschen auf Reisen ist es wichtig, dass sie ihre Therapie in ausreichender Menge mitnehmen und ggf. auch andere Medikamente, wenn man diese ebenfalls regelmäßig nehmen muss. Vor allem die HIV-Therapie sollte dabei im Handgepäck aufbewahrt werden, da die aufgegebenen Koffer eventuell verspätet ankommen oder gar verloren gehen können. Acht sollte man auch darauf geben, dass die HIV-Therapie in der Originalverpackung mit Beipackzettel mitgenommen wird. Vor allem außerhalb des Schengenraums kann es sonst bei der Passkontrolle zu unangenehmen Situationen und sogar zu Einreiseverweigerungen kommen. HIV-positiv Reisende sollten sich daher im Vorfeld darüber informieren, ob sie mit HIV einreisen können bzw. ein Schreiben ihres Arztes/ihrer Ärztin benötigen welches bestätigt, dass es sich bei den mitgenommenen Tabletten auch tatsächlich um eine HIV-Therapie handelt. https://estatousa.com/de/laender-mit-hiv-reiseverboten-und-reisen-mit-hiv/
Bei welchen STI bietet ein Kondom zu wenig Schutz?
Sex und sexuelle Handlungen sind nie 100% safe und so gibt es auch Infektionen, deren Übertragung auch mit Kondomgebrauch nicht zur Gänze verhindert werden kann.
Die Ansteckungsgefahr mit Syphilis und Tripper kann durch Kondomverwendung relativ gut vermindert werden. Dasselbe gilt für die Infektion mit Hepatitis B. Wir empfehlen aber jedenfalls die Kombiimpfung für Hepatitis A/B, die Infektionen mit dem hochansteckenden Hepatitis-Virus verhindern kann! Ein nicht zu unterschätzendes Problem sind HPV (Humane Papilloma Viren). Wer sie schon mal hatte, z.B. in der Form von Feigwarzen im Genital-/Analbereich oder als vulgäre Warze an den Füßen, Fingern, Augen, Mundwinkeln weiß, wie störend und unschön diese sein können. Auch die Behandlung (zumeist mittels Vereisung) ist oft nur kurzfristig hilfreich und (Feig-) Warzen können immer wieder kommen, d.h. sie sind rezidiv! Deshalb empfehlen wir die neuartige HPV-Impfung Gardasil 9 – für alle U21 Menschen sowieso, aber auch für zahlreiche andere Personen. Denn auch für Menschen, die schon Sex hatten und somit bereits zwangsläufig mit HPV in Kontakt kamen, wird die Impfung bis zum 45. Lebensjahr empfohlen. Besonders wichtig ist es zu erwähnen, dass HPV insbesondere bei HIV-positiven Menschen (selbst bei stabilen Werten unter HIV-Therapie) häufiger schwere, gesundheitliche Probleme/Krankheiten (insb. Anal- und/oder Gebärmutterhalskrebs) verursachen kann. HIV-positiven Menschen wird daher die regelmäßige Kontrolle beim Proktologen (Analabstrich) bzw. bei der Gynäkologin (Gebärmutterhalsabstrich) und unbedingt auch die HPV-Impfung (nach Rücksprache mit dem/der HIV-Behandler*in) empfohlen.
Kannst du ein wenig über die aktuellen Aktivitäten erzählen?
Die Schwerpunkte der Aids Hilfe Wien liegen nach wie vor auf den besonders vulnerablen Gruppen der MSM (Männer, die Sex mit Männern haben) und Trans*Personen. Die queere Prävention der Aids Hilfe Wien ist aber sehr bemüht, sich um alle Menschen der LGQBTIA+ Community zu kümmern und arbeitet daher immer wieder auch mit lesbischen Vereinen, mit intergeschlechtlichen Menschen, der bisexuellen Community und allen anderen queeren Personen gerne zusammen. Unsere derzeitigen Aktivitäten konzentrieren sich vor allem auf die Vor-Ort-Arbeit und so finden 14-tägig Szenetouren statt und bei Schönwetter sind wir mit Cruisingpacks und Informationsmaterialien auf der Donauinsel/Toter Grund unterwegs. Zusätzlich sind wir bei queeren Clubbings und bei Straßenfesten mit Infotischen dabei. Auch Workshops und Erste-Hilfe-Kurse mit den Do´s und Don´ts bei „Sexunfällen“, einem Update zu HIV, STI und Chemsex für queere Lokal- und Gaysaunenbetreiber bieten wir auf Nachfrage gerne mehrmals jährlich an. All diese Aktivitäten können wir allerdings nur mit der Unterstützung unserer tollen Peers und ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen bewältigen.
Ein weiteres Beratungs- und Präventionsangebot findet man online auf www.gayhealthchat.de. Zur Verfügung gestellt von der Deutschen Aids Hilfe berät ein Team, bestehend aus deutschen und österreichischen Kolleg*innen, dort MSM und Trans*männer zu verschiedenen Themen. Die Männer* können uns direkt anschreiben und mit uns live über Test- und Beratungsangebote, Risikoeinschätzungen, psychologische Anlaufstellen für queere Personen, queerfriendly Ärzt*innen und Spitalsambulanzen, PEP Abgabestellen, bei Problemen mit Chemsex oder anderen mentalen Problemen, Ängsten usw. chatten. Unsere Hauptaufgabe ist dabei, die Männer* an geeignete Stellen weiter zu verweisen, wo sie dann eine adäquate Unterstützung bekommen. Oft kommt es aber auch vor, dass Personen einfach nur (virtuell) sprechen wollen und man merkt, dass Einsamkeit bei queeren Menschen häufig ein großes Problem ist.
Welche Tipps hast du für die queere Community?
Ich denke mir, dass es wichtig ist, auch einfach mal Spaß im Leben zu haben und den Sommer zu genießen nach all den fordernden Jahren mit Covid-19, Teuerungen und dem Krieg gegen die Ukraine, die bei vielen psychische Spuren hinterlassen haben. Auf die eigene mentale Gesundheit achtzugeben, ist ebenso wichtig wie auf die sexuelle Gesundheit aufzupassen. Im Bereich der „mental health“ Unterstützung gibt es speziell für queere Menschen sehr gute Anlaufstellen und Angebote. Die Aids Hilfe Wien hilft auch diesbezüglich gerne z.B. unter beratung@aids-hilfe-wien.at oder direkt unter www.gayhealtchat.de weiter.
Vielen Dank für das Gespräch!
# Juliana Metyko-Papousek, Aids Hilfe Wien
Und nach dem Urlaub:
⊗ STI-Routinecheck der Big 5 direkt nach dem Urlaub – auch wenn keine Symptome vorliegen (nicht jede STI zeigt sichtbare Symptome)
⊗ Auf das „diagnostische Fenster“ bei STI achten.
⊗ Frühzeitig erkannte Erkrankungen lassen sich immer besser behandeln als verschleppte Infektionen.
⊗ Alle Angebote der Aids Hilfe Wien findet man hier: https://aids.at/tests-und-beratung/testangebote/
Dominique Schibler von der Aids Hilfe Wien im Sommertalk mit Juliana Metyko
Foto: Aids Hilfe Wien/Schicho