Reisen mit „Pride“
– aber nicht ohne Risiko
Wie sicher fühlen sich LGBTQ+-Personen auf Reisen? Wo ist Akzeptanz besonders spürbar? Erstmals hat die ITB Berlin gemeinsam mit Diversity Tourism und A3M Global Monitoring eine Umfrage unter queeren Reisenden durchgeführt. Während Kanada und Spanien durchweg als sicher wahrgenommen werden, wird in Deutschland trotz rechtlicher Gleichstellung eine eher verhaltene gesellschaftliche Akzeptanz gelebt. Die USA hingegen spiegeln eine tiefe Spaltung – je nach Region. Begleitend hat A3M nun die aktualisierte „LGBTQ+ Risk Map 2025″ veröffentlicht, die Entwicklungen weltweit dokumentiert.
Die ITB Berlin, die weltweit führende Tourismusfachmesse, setzt seit Jahren Maßstäbe, wenn es um Sichtbarkeit und Messbarkeit von Diversität im Tourismus geht. Als langjährige Vorreiterin in diesem Bereich initiierte sie gemeinsam mit Diversity Tourism, einem Beratungsunternehmen für LGBTQ+-Tourismus und Diversity Marketing, und dem Sicherheitsanalyse-Unternehmen A3M Global Monitoring erstmals eine umfassende Umfrage zu den Erfahrungen queerer Reisender. Die Erhebung mit dem Titel „Perceptions and Experiences of LGBTQ+ Travellers“ fand zwischen Dezember 2024 und April 2025 statt – die Ergebnisse fließen auch in die inhaltliche Gestaltung der kommenden ITB Berlin vom 3. bis 5. März 2026 ein.
Die Umfrage richtete sich gezielt an queere Reisende aus der ITB- und LGBTQ+-Community (via Newsletter, Social Media, Website sowie dem LGBTQ+-Reiseportal Tomontour.de) und umfasste 16 Fragen – unter anderem die persönliche Wahrnehmung zu gesellschaftlicher Akzeptanz, rechtlicher Gleichstellung, Sicherheit im Umgang mit Behörden, Erfahrungen mit Polizei, Gesundheitssystemen sowie der Nutzung sozialer Netzwerke. Ergänzend wurden vertiefende Interviews mit LGBTQ+-Tourismusexpert:innen und Vielreisenden geführt. Ziel war es, nicht nur gesetzliche Rahmenbedingungen zu betrachten, sondern vor allem die subjektive Sicherheit und tatsächliche Erfahrung queerer Menschen im Reisealltag zu erfassen – ein Ansatz, der bestehende Indizes erweitert und differenziert.
„Die Umfrage bietet erstmals tiefere Einblicke in die persönlichen Erfahrungen queerer Reisender weltweit – ein wichtiger Schritt, um objektive Sicherheitsbewertungen um subjektive Perspektiven zu erweitern. Auch wenn sie nicht im statistischen Sinne repräsentativ ist, liefert sie eine belastbare qualitative Grundlage. Wir nehmen die Ergebnisse sehr ernst und lassen sie gezielt in die Weiterentwicklung unseres LGBTQ+-Segments auf der ITB Berlin einfließen – denn queeres Reisen fördern wir nicht nur während der Messe, sondern das ganze Jahr über und mit voller Überzeugung,“ so Ramona Zaun, LGBTQ+-Beauftragte der ITB Berlin.
Erste Ergebnisse: Viel Licht, aber auch Schatten
Kanada und Spanien führen die Liste der als sicher empfundenen Reiseländer an. In beiden Ländern bestätigen 100 % der Teilnehmenden, dass LGBTQ+-Personen respektvoll behandelt werden. Auch das Zeigen von Zuneigung in der Öffentlichkeit wird in Spanien (90 %) und Kanada (71 %) als unproblematisch bewertet. Die Polizei wird in beiden Ländern mehrheitlich als unterstützend erlebt.
Dagegen fällt das Urteil über die USA gemischt aus: Lediglich rund ein Drittel stimmt der Aussage zu, dass queere Paare offen Zuneigung zeigen können oder die Polizei LGBTQ+-freundlich handelt. Besonders auffällig ist, dass die Bewertungen stark divergieren – ein Hinweis auf erhebliche regionale Unterschiede zwischen progressiven Metropolen und konservativeren Regionen.
Deutschland wird ambivalent gesehen: Trotz fortschrittlicher Gesetzgebung wird die gesellschaftliche Akzeptanz eher mittelmäßig empfunden. Nur rund die Hälfte der Befragten fühlt sich wohl, öffentlich als LGBTQ+ aufzutreten oder erlebt Gleichbehandlung durch Behörden.
Ein zentrales Ergebnis: Nicht alle Gruppen innerhalb der LGBTQ+-Community fühlen sich gleich sicher. In nahezu allen Ländern wurde auf Unterschiede zwischen z. B. schwulen Männern und trans* oder intergeschlechtlichen Personen hingewiesen – letztere erleben deutlich häufiger Diskriminierung.
Anmerkung: Die Rücklaufquote (123 Rückmeldungen) zeigt eine gute Resonanz auf die Umfrage. Für 18 der 36 Länder lag jedoch nur eine Einzelbewertung vor. Um ein Mindestmaß an Intersubjektivität sicherzustellen, wurden nur Länder mit mindestens vier Bewertungen ausgewertet.
Tiefergehende Einblicke aus den Interviews
Die einstündigen Expert*innen-Interviews bestätigten viele der Umfrageergebnisse – und boten weiterführende Kontextualisierungen:
In Südamerika, etwa in Brasilien, Chile oder Peru, erleben queere Reisende in touristischen Regionen meist hohe Toleranz – trotz zum Teil restriktiver Gesetzgebung.
Auch in China oder Dubai sei das Verhalten von Behörden häufig pragmatisch, solange queere Reisende sich „diskret“ verhalten.
Trans- und intergeschlechtliche Personen stehen weltweit vor besonderen Herausforderungen: etwa durch nicht-anerkannte Geschlechtseinträge in Pässen oder ungeschultes Personal bei Sicherheitskontrollen.
Besonders in den USA verschärfen sich die Hürden: Hier wurde die Anerkennung non-binärer Identitäten rückgängig gemacht.
In Spanien hingegen wird die Akzeptanz als tief verwurzelt beschrieben – gerade Städte wie Madrid, Barcelona und die Regionen an der Mittelmeerküste oder auf den Kanaren gelten als besonders LGBTQ+-freundlich.
Eine interessante Beobachtung: Jüngere queere Reisende aus westlichen Gesellschaften reagieren sensibler auf Einschränkungen ihrer Sichtbarkeit, während ältere Generationen, die mit Diskriminierung aufgewachsen sind, eher bereit sind, sich auf Reisen „anzupassen“.
„Die Sicherheitslage für queere Reisende verändert sich derzeit teils rasant – nicht nur rechtlich, sondern auch gesellschaftlich. Viele LGBTQ+-Personen leben heute selbstbewusster und offener – und damit steigt auch das Bedürfnis nach Orientierung in puncto Sicherheit. Rechtliche Rahmenbedingungen allein reichen oft nicht aus: Entscheidend ist, wie sicher sich Menschen vor Ort tatsächlich fühlen können. Genau hier setzt unsere gemeinsame Umfrage an,“ erklärt Thomas Bömkes, Geschäftsführer von Diversity Tourism und LGBTQ+ Tourism Advisor der ITB Berlin.
Die Umfrage soll künftig jährlich wiederholt werden, um Entwicklungen systematisch erfassen zu können.
Positive Entwicklungen 2024/2025
Dominica: Entkriminalisierung homosexueller Handlungen durch das oberste Gericht (April 2024).
Namibia: Der High Court erklärte die Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher Handlungen für verfassungswidrig und hob die entsprechenden Gesetze auf. (Juni 2024).
Deutschland: Das neue Selbstbestimmungsgesetz stärkt seit November 2024 die Rechte trans*, inter* und nicht-binärer Personen
Thailand: Legalisierung gleichgeschlechtlicher Ehen im Januar 2025.
Rückschritte in puncto Menschenrechte
Irak: Einführung drastischer Strafgesetze gegen Homosexualität im April 2024.
Mali: Neue Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen im Dezember 2024.
Trinidad und Tobago: Rücknahme eines früheren liberalen Urteils im März 2025 – Homosexualität wieder strafbar.
Georgien: Breites Anti-LGBTQ+-Gesetzespaket seit September 2024.
Perspektive: Ein Netzwerk für queere Reisesicherheit
A3M plant den Aufbau eines internationalen Netzwerks zur LGBTQ+-Reisesicherheit, das Erfahrungen, Daten und Empfehlungen sammelt und zugänglich macht – für mehr Sichtbarkeit, Sicherheit und Respekt weltweit.
„Sicherheit ist mehr als Recht – sie ist Wahrnehmung und Erfahrung“, so das Fazit der Studienleitung. Nur mit differenzierten Daten und globaler Zusammenarbeit lässt sich queeres Reisen langfristig wirklich sicher und inklusiv gestalten.
A3M veröffentlicht aktuelle LGBTQ+ Risk Map 2025
Die LGBTQ+ Risk Map, die von A3M jährlich aktualisiert wird, dient als Orientierungshilfe für Reisende, Veranstalter und Behörden. Copyright: A3M Global Monitoring